Reden verbindet – über den Wert und die Kraft des Dialogs
Das HirschburgFORUM versteht sich als Ort für Gespräche, die tragen. Das klingt schlicht, fast selbstverständlich – und doch verbirgt sich darin ein hoher Anspruch. In einer Zeit, in der Diskussionen oft zu Schlagabtauschen verkommen und Meinungen sich wie unversöhnliche Fronten gegenüberstehen, scheint der Dialog zwischen den Menschen aus der Mode gekommen zu sein – manchmal sogar unmöglich.
Denn echter Dialog ist kein rhetorischer Schachzug, kein taktisches Spiel, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Wie seine griechischen Wurzeln diá- („durch“) und lógos („Wort, Vernunft“) bezeugen, geht es beim Dialog um nichts Geringeres als den ernsthaften Versuch, sich mit anderen auf Augenhöhe darüber zu verständigen, was richtig, wichtig oder sinnvoll ist. Diese Idee hat der Philosoph Sokrates geprägt: Durch Fragen, nicht durch Belehrung, tastete er sich gemeinsam mit seinen Gesprächspartnern an die Wahrheit heran. Dieses Vorgehen war nicht darauf ausgerichtet, Recht zu behalten, sondern gemeinsam zu lernen. Der Dialog als gemeinsame Reise, nicht als Duell.
Eine solche Reise beginnt immer mit dem Eingeständnis: Ich könnte irren. Diese einfache, aber tiefgreifende Einsicht öffnet den Raum für Argumente – nicht als Waffen, sondern als Werkzeuge des Verstehens. Wer argumentiert, will nicht bloß behaupten oder manipulieren, sondern überzeugen – oder sich überzeugen lassen. Ein gutes Argument zeigt jemandem, dass sich eine bestimmte Aussage logisch aus Annahmen ergibt, die er bereits für wahr hält. So entsteht Verständigung nicht durch Druck oder Lautstärke, sondern durch Nachvollziehbarkeit und innere Zustimmung.
Doch was geschieht, wenn dieser Weg versperrt ist? Wenn wir feststellen, dass unser Gegenüber nicht nur unsere Schlussfolgerungen ablehnt, sondern auch die Voraussetzungen, auf denen sie beruhen? Dann stehen sich nicht nur verschiedene Meinungen, sondern ganze Weltbilder gegenüber. Und der Versuch zu argumentieren schlägt um in gegenseitige Verdächtigungen: Du willst mich bekehren, mir deine Sicht aufzwingen!
In solchen Fällen reicht das Miteinanderreden nicht mehr aus. Hier braucht der Dialog ein anderes Fundament: eine vorgängige Erfahrung der Gleichwertigkeit und Verbundenheit, die uns überhaupt erst offen macht für ein Gespräch. Diese Erfahrung ist nicht begründbar wie eine These – sie ist eher verwandt mit dem Ergriffensein von einem Kunstwerk oder dem Staunen vor der Natur. Sie entzieht sich der sprachlichen Vermittlung, ist aber Bedingung dafür, dass Sprache zwischen Menschen wirken kann.
Nur wer sich innerlich berühren lässt von der Menschlichkeit des anderen, kann sich ihm gegenüber wahrhaft dialogbereit zeigen. Nicht, weil er dessen Meinung teilt, sondern weil er ihn als gleichwürdig anerkennt – unabhängig von allem, was ihn trennt. Vielleicht beginnt ein tragender Dialog also nicht mit einem klugen Gedanken, sondern mit einem stillen Moment der Offenheit. Mit der Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen – und dem Mut, nicht sofort zu urteilen. Denn reden kann jeder. Zuhören, verstehen und gemeinsam überlegen – das ist eine Kunst.
Ein Beitrag von Dr. phil. David Hommen
David Hommen ist Privatdozent für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Schwerpunkten in Metaphysik, Sprachphilosophie und Ethik.


